Predigt am Palmsonntag 2023
Predigttext Johannes 12, 12-19
Am nächsten Tag hörte die große Menge,die sich zum Fest in der Stadt aufhielt: Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem. Da nahmen sie Palmzweige und liefen ihm entgegen. Sie riefen: »Hosianna! Gesegnet sei, wer im Namen des Herrn kommt! Er ist der König Israels!« Jesus fand einen jungen Esel und setzte sich darauf. So steht es auch in der Heiligen Schrift: »Fürchte dich nicht, Tochter Zion! Dein König kommt! Er sitzt auf dem Jungen einer Eselin.« Die Jünger von Jesus verstanden das zunächst nicht. Aber als Jesus in seiner Herrlichkeit sichtbar war, erinnerten sie sich daran. Da wurde ihnen bewusst, dass sich diese Stelle in der Heiligen Schrift auf ihn bezog. Denn genau so hatten ihn die Leute empfangen. Die vielen Leute, die dabei gewesen waren, bezeugten: »Er hat den Lazarus aus dem Grab gerufenund ihn von den Toten auferweckt!« Deshalb kam ihm ja auch die Volksmenge entgegen. Sie alle hatten gehört,dass er dieses Zeichen getan hatte. Aber die Pharisäer sagten zueinander: »Da merkt ihr, dass ihr nichts machen könnt.Alle Welt läuft ihm nach!«

Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und ein Wort für unser Herz. Amen.
Palmsonntag. Ein großartiger Tag. Alles scheint auf das Schönste bereit für Ostern: weiße Eier zum bunt bemalen sind beim Bauern nebenan vorbestellt, die Forsythien in den Vorgärten treiben grüne Blätter und gelbe Blüten und Mehl und Hefeknappheit gibt’s in diesem Jahr auch nicht – alles da für das perfekte Osterfrühstück, den perfekten Osterstrauß, das perfekte Osternest. Naja, fast alles. Frieden und Freiheit fehlen noch. Aber hej:
Hosianna – Hosanna – erstmal!
Vor ein paar Monaten: Die russische Armee zieht sich aus der ukrainischen Vorstadt Butscha zurück. In der Folge werden in Massengräbern 458 namenlose Tote gefunden. Mindestens 419 von ihnen wurden zu Tode gefoltert, erschlagen oder erschossen. Die namenlosen Leichen in den Massengräbern im Stadtwald vor Kiew sind Zeugen. Sie bezeugen Kriegsverbrechen. Sie bezeugen Gewalt. Sie bezeugen das Verdrängen und das Vergessen von Menschlichkeit.
Hosianna – Hosanna!
Vor ein paar Wochen: Mehr als 45.000 Tote in der türkischen Provinz Hatay mit ihrer Hauptstadt Antakya, dem antiken Antiochia. Erdbeben haben in der Grenzregion zwischen der Türkei und Syrien kaum einen Stein auf dem anderen gelassen. Tausende Tote und Verletzte. Tausende Existenzen erschüttert, vernichtet. Und jetzt werden die Schuldigen gesucht. Zum 100. Geburtstag der Republik überlässt der Präsident nichts dem Zufall: Syrien ist schuld; die Bauleute sind schuld; die Leute sind schuld, die so wenig Geld in die Hand genommen haben, um ihre Häuser sicher zu bauen. Wer etwas anders sagt, findet sich schnell im Gefängnis wieder. Freiheit ist ein Fremdwort geworden in dem Land, in dem Paulus von kaum etwas anderem spricht als davon, dass alle Menschen frei sind, durch Gottes Gnade. Und die Unfreien werden zu Zeugen. Sie bezeugen Korruption. Sie bezeugen, dass Wahrheit und Liebe machtlos sind.
Hosianna – Hosanna!
Grade erst: Zu viele Menschen sind in Pakistan auf Hilfe angewiesen. Zu viele Menschen leiden Hunger. Wer diesen Hunger stillen will, riskiert Tote. Grade erst sind 8 Frauen und 3 Kinder bei einer Massenpanik getötet worden. Alles, was sie wollen, ist, Lebensmittelspenden von einer Hilfsorganisation bekommen. Aber das wollen viele. Stunden nach der Panik entstehen Bilder. Verteilt auf dem staubigen Boden: Tücher, Flip-Flops, … Sie sind Zeugen. Sie bezeugen den Hunger. Sie bezeugen die Hilflosigkeit. Sie bezeugen, wie egal die Menschen dieser Welt einander sind.
Hosianna – Hosanna!
Musik – Domkantorei:
Durch dein Gefängnis, Gottes Sohn,
ist uns die Freiheit kommen.
Dein Kerker ist der Gnadenthron,
die Freistatt aller Frommen.
Denn gingst du nicht die Knechtschaft ein,
musst’ unsre Knechtschaft ewig sein.
Hosianna – Hosanna! Das klingt wie ein Jubelruf. Aber es ist keiner. Jedenfalls nicht nur. Nicht in unserer Zeit und auch nicht in der Zeit von Jesus. Denn ‚Hosanna‘. Das ist ein Gebetsruf. Und übersetzt heißen die beiden hebräischen Worte: ‚Hilf doch | Hilf bitte!‘
Hosanna – ‚Hilf bitte!‘ Da steckt das Wort helfen drin; das Wort retten. Traditionell rufen die Leute auf den Straßen von Jerusalem dieses Wort den Leuten hinterher, die Zeit haben, zu Pilgern, zum Tempel zu gehen und dort zu beten. Die nehmen dann sozusagen die Gebete der Anderen mit in den Tempel. Leichtes Gepäck so ein ‚Hosanna‘. Es braucht nicht viele Worte, damit Gott weiß, dass es seinen Menschen nicht gut geht. Es reicht das kleine ‚Hosanna‘-, das kleine ‚Hilf bitte!‘-Gebet.
Hosanna – ‚Hilf bitte!‘ Nichts Großes; keine lange Rede, keine großen Worte, um an Gott heranzutreten und ihm zu sagen: ‚Ich brauch‘ dich!‘ Weil die Leute aber das Gefühl haben, dass sie zwar kleine Gebete mit in den Tempel schicken, die leicht zu schultern sind, aber keine Antwort aus dem Tempel zurückkommt, schickt Gott ihnen ihr Wort, ihr Gebet als Mensch zurück. Damit sie sehen und verstehen, was sie eigentlich nur glauben müssten; dieses alte: ‚Du brauchst mich und ich bin da!‘
Hosanna – ‚Hilf bitte!‘ Der Name Jesus bedeutet genau das: ‚Hilfe‘. Jesus. Der ist die Antwort auf alle die kleinen ‚Hosanna‘-Gebete, die im Laufe der Jahre und Jahrhunderte in den Tempel getragen worden sind und sich von hier aus in den Himmel, zu Gott im Himmel aufgeschwungen haben. Gott hat sie immer schon gehört. Er hat sie auch immer schon beantwortet. Aber Menschen, naja, … wir sind empfänglich für den Vergleich von schweren Waffen, für die Wahl von lauten Männern und für den Staub, den Hilfsorganisationen kurz aufwirbeln und der sich dann schwerer noch und dichter als vorher auf alles legt und alle Hoffnung wirklich frei von Armut und Krieg, vom Vergessen zu sein erstickt. Die Zeugen hören kein ‚Ich helfe dir!‘ auf ihr geflehtes Hosanna. Sie hören das Korkenknallen von Konferenzen, auf denen über sie gesprochen wird, auf denen beschlossen wird, sie und ihre Rufe leise zu drehen. Dafür sind wir empfänglich. Und die leisen Töne, die überhör ‘n wir gern‘ mal.
Hosanna – ‚Hilf bitte!‘ Der Name Jesus bedeutet: ‚Gott hilft | Gott rettet!‘ Und Jesus ist Gottes Antwort auf alle die Fragen nach: Frieden, nach Freiheit, nach Hoffnung auf mehr als das, was ist – nach Hoffnung auf den Himmel.Es könnte so schön sein. Sehen, dass da einer ist, der hilft. Der nicht fragt, zu welchem Volk gehörst du, wen hast du gewählt, hast du eine Kreditkarte mit ordentlich Dispo dabei. Sondern, der einfach die Hand reicht. Einfach macht und dabei lächelt. Es könnte so schön sein. Aus dem Bittruf ‚Hosanna!‘ würde ein lautes Jubeln werden. Und alles, alles wär‘ für immer gut. Johannes erzählt in seinem Evangelium eine andere Geschichte. Jesus kommt. Die Menschen sehen ihn. Sie sehen, was er ist und was er kann und sind fröhlich. Aber nicht alle sind fröhlich. Es gibt ja auch noch die, die die Freude der anderen in Gefahr bringt.
- Wem soll ein Rüstungskonzern Panzer verkaufen und Munition, wenn alle sagen: Wir wollen nicht, dass wie geschrieben steht, die Feinde unsere eigenen Hausgenossen sind. Wir wollen in Frieden zusammenleben. Alle zusammen in dieser Welt. Wie unter einem großen Dach. So wie eine große Familie.
- Wem soll ein korrupter Staatsbeamter extra Geld für eine Baugenehmigung abnehmen, wenn alle sagen: Ich habe, wie es geschrieben steht, auf Felsen und nicht auf Sand gebaut. Ich brauch dein Extra-Auge-Zudrücken nicht.
- Wem soll noch das Leben genommen werden, durch Drängeln und Schubsen vor Hunger und Angst um die Liebsten, wenn wie geschrieben steht, genug für alle da ist. So viel Brot, dass nach jedem Essen so viel übrigbleibt, dass noch andere satt werden, viele satt werden, viel mehr, als man sich je erträumt hätte.
Tja, schwierig. Das Beste ist, das Leichteste ist, dieses lebendig gewordene ‚Hosanna!‘ verschwinden zu lassen. Jesus muss weg.
Palmsonntag. Das ist ein großartiger Tag. Weil nochmal so sehr deutlich wird, wofür Jesus zu uns gekommen ist. Nämlich, um uns aus egal welchem ‚Struggle‘ rauszuhelfen. Und weil nochmal so sehr deutlich wird, wie wenig wir aus unserer Haut können. Aus ‚Hosanna!‘ wird schnell ‚Harag oto!‘ – ‚Tötet ihn!‘. Denn er bringt alles in Gefahr. Besonders die Welt, die zwar nicht schön, aber immerhin unsere ist. Von uns verstanden, von uns beherrscht. Und dieses Neue, dieser Jesus, der würde ja nur alles durcheinanderbringen mit seinen Gedanken von Liebe. Von wegen: ‚Gedanken des Friedens habe ich über euch, …‘ so läuft das nicht in dieser Welt. Und so wird aus ‚Hilf bitte!‘ ‚Tötet ihn!‘. Am Karfreitag werden wir das laut und deutlich, erschütternd und zu Tränen rührend hier hören. Dieses mordlustige Geschrei, es rückt den Ostermorgen in weite Ferne.
Aber. Wer jetzt denkt, es gibt nichts zum sich drüber freuen. Weit gefehlt. Denn die, die Jesus Böses wollen, die die der Welt Böses wollen, die erkennen schnell, dass sie Jesus zwar töten können, aber dass seine Botschaft bleiben wird. Denn die Menschen haben die Antwort Gottes auf ihr kleines, in den Tempel getragenes Gebet sehr wohl verstanden und schöpfen Hoffnung. Hoffnung auf mehr und Himmel. Johannes schreibt dazu:
„Aber die Pharisäer sagten zueinander: Da merkt ihr, dass ihr nichts machen könnt. Alle Welt läuft ihm nach!“
Also: Die Dunkelheit kann nicht gewinnen, denn hier bei uns und überall an Orten des Gebets sitzen so viele, die dieses kleine Gebet im Herzen tragen: ‚Hosanna - Bitte hilf!‘ So viele, die anderen dieses Gebet für sich mit auf den Weg geben. Und auch so viele, die diese wunderbare Antwort Gottes in Wort und Tat kennen und bezeugen können – ‚Ja, ich helfe. Ich schicke euch meinen eigenen Sohn. Der macht das schon. Keine Sorge.‘ Glauben bezeugen. Das ist unsere Aufgabe. Nicht ganz leicht. Aber auch nicht völlig aussichtslos. Und jetzt noch die Botschaft von Palmsonntag: Dunkelheit ist nicht dunkel bei Gott und er antwortet auf unser Bezeugen von Schrecken, auf unser Bezeugen von Schönem. Was er braucht – mit Bonhoeffer gesagt – sind unsere Gebete, unsere ernst gemeinten Gebete und die können kurz sein. ‚Hosanna!‘ reicht.
In diesem Sinne: ‚Hosanna!‘ - Amen.